Zu meiner Tätigkeit im Landesvorstand der Grünen vom
Dezember 1984 bis Mai 1985
Zur
Einordnung der Quellen
Im Dezember 1984
wurde ich zu einem der beiden Sprecher der Grünen in NRW gewählt.
(s. Quellen 1 und 2). Ich erhielt 80 von 156 Stimmen. Die Grünen in NRW standen
vor einer wichtigen Landtagswahl, die im Mai 1985 stattfand. Im Oktober 1984
hatten die Grünen in NRW den Durchbruch geschafft. Sie erreichten landesweit
über 8 % bei den Kommunalwahlen.
Das personale Potential der Grünen in NRW war damit weitgehend erschöpft. Fast
alle
profilierten Mitglieder der Grünen saßen seit einigen Monaten in den Stadt- und
Gemeinderäten in NRW. Die Situation des Landesvorstandes war schwierig. Es gelang
nur, 6 von 10 Posten im Landesvorstand zu besetzen. In dieser Situation habe
ich mich bereit erklärt, im Dezember 1984 für den Landesvorstand zu kandidieren.
Gleichzeitig war ich für die Grünen Mitglied in der Bezirksvertretung in
Dortmund Scharnhorst.
Die 5 Monate im Landesvorstand waren turbulent. Die Grünen in NRW taten sich
schwer mit
einer Koalition, was tun? „ Realos“ und „ Ökosozialisten“ standen sich
unversöhnlich gegenüber. Es gelang keine konstruktive Zusammenarbeit.
Für die Grünen in NRW stand der Ausstieg aus der Atomenergie im Mittelpunkt des
Wahlkampfes. Es ging um die Verhinderung der Inbetriebnahme des Schnellen
Brüters in
Kalkar und des Abschaltens des Versuchsreaktors THTR
in Hamm Uentrop.
Dem Landesverband NRW der Grünen gelang kein konstruktiver Wahlkampf.
Die Partei war auf mehreren Landesdelegiertenkonferenzen mit sich selbst
beschäftigt.
So gelang es, die Rotation innerhalb einer Legislaturperiode per Urabstimmung
abzuschaffen. (s. Quelle 3). Ich war im Landesvorstand für die Planung und
Durchführung dieser Urabstimmung zuständig. Bei der Verabschiedung des
Programms für die Landtagswahl wurde eine Erklärung zum Thema „ Sexualität und
Herrschaft“ verabschiedet, die gewaltfreie sexuelle Beziehungen zwischen
Kindern und Erwachsenen für möglich hielt (s. Quelle 4).
Es gelang mir nicht, die Verabschiedung dieses Programmteils zu verhindern.
Mit dieser Erklärung, die später zurückgenommen wurde, schafften es die NRW
Grünen
endgültig unter die 5 % Hürde. Bei der Landtagswahl am 12. Mai 1985 gewann die
SPD mit 52,1% die absolute Mehrheit, die Grünen scheiterten an der 5% Grenze
mit 4,6%. Ich legte am 13. Mai 1985 mein Amt als Sprecher der Grünen in NRW
nieder. (s. Quelle 5)
Die Grünen in NRW mussten bis 1990 warten, dann schafften sie den Einzug in den
Landtag
von Düsseldorf mit 5,0%. Die in den Quellen enthaltenen Streitpunkte sind
„Schnee von
gestern“. Sie haben insofern einen historischen Wert, als dass sie einen Blick
auf die Gründungswehen der Grünen NRW zu einer parlamentarischen Konzeptpartei
werfen.
Quellen zu meiner Arbeit im Landesvorstand von
Dezember 1984-Mai 1985
Quelle Nr.1
Hartmut
Regenstein
Kandidatur zu einem der drei gleichberechtigten Sprecherposten der Grünen in
NRW
Auszüge aus einer ausführlichen Bewerbung (16 Seiten) vom 21.10.1984
Zusammengestellt am 27.02.2011
Einleitung
„ Durch
Atomkraftwerke und Atombomben werden wir weder den Frieden, noch das Licht der Freiheit
erreichen. Es geht (mit der Atomkraft) um eine fundamentale Fragestellung
unseres Jahrzehnts und der nächsten Generationen. Und darum müssen wir auch
zusammenarbeiten, und ich hoffe, dass auch Sozialdemokraten mit uns in dieser
gefährlichen Sache eine gemeinsame Arbeit beginnen.“ (Rudi Dutschke im Jahre
1977)
Ökologie und
Umwelt
Die Grünen sind in ihren Ursprüngen eine Anti-AKW-Bewegung gewesen, sie werden
dies
bleiben. Und von daher erspare ich mir die Begründung, warum die Grünen in NRW
gegen die Inbetriebnahme des Schnellen Brüters in Kalkar
und gegen die Inbetriebnahme des THTR in Hamm Uentrop
sind. Die SPD und die Wähler müssen vor der Wahl wissen, dass eine Stimme für
die Grünen eine Stimme gegen die Atomenergie ist.
Friedenspolitik
Ich stehe hinter dem Friedensmanifest von 1981. Ich möchte auf folgende Punkte
hinweisen:
Ich halte die deutsche Frage für enorm wichtig und problematisch. In den Vordergrund
müssten die Traditionen gestellt werden, die für die Grünen wichtig sind:
1. Tradition des Antifaschismus
2. Tradition des Geistes und der Literatur
3. Tradition des Pazifismus.
Wir müssen über die Frage diskutieren, wie weit die beiden deutschen Staaten
diese
Traditionen aufgreifen können. Ich wünsche mir seit langem ein Zusammenrücken
der deutschen Staaten. Die Grünen in Dortmund bemühen sich um eine
Städtefreundschaft zwischen Dortmund und Magdeburg. Ich finde es falsch, dass
dem deutschen Volk das Recht auf Selbstbestimmung abgesprochen wird. Deshalb
bin ich auch dagegen, die Präambel des Grundgesetzes zu ändern. Nach meiner
Rechtsauffassung ist das überhaupt nicht möglich.
Schule und
Bildungspolitik
Aus dieser grundsätzlichen Position heraus folgt, dass es eine Vielfalt von
Schulen geben muss. Im Mittelpunkt sollten das Elternrecht und das Recht des
Kindes stehen, sich für eine bestimmte Schule zu entscheiden. Das kann eine
Waldorfschule sein, dass kann aber auch eine Hauptschule, das Gymnasium, die
Gesamtschule sein. Meine bildungspolitische Position hat in Dortmund keine
Mehrheit. Ich trete in Dortmund für die Existenz von Gesamtschulen und
Gymnasien ein, die Mehrheit sieht das anders. Die Mehrheit der Grünen in
Dortmund will Gymnasien zugunsten von Gesamtschulen ersetzen.“
Diskussion zum
§ 218
Ich bin gegen die ersatzlose Streichung des § 218, weil ich das Recht des
ungeborenen Lebens höher einschätze als das Selbstbestimmungsrecht der Frau.
Unsicher bin ich mir bei dem strafrechtlichen Anspruch des Staates. Ich bin der
Meinung, dass sich die Grünen für das geborene und ungeborene Leben einsetzen
müssen.
Rotation
Ich schlage vor, dass wir für den Landtag eine fünfjährige Mandatszeit
zulassen. Danach sollte eine Wieder Kandidatur zunächst nicht möglich sein.
Quelle Nr. 2
Landesdelegiertenkonferenz
der Grünen NRW in Bergheim am 14. und 15. Dezember 1984
Wahl zu einem der Sprecher der Grünen NRW
„ Oberstudienrat Regenstein (33), der zum neuen Sprecher in NRW gewählt wurde,
hatte zuvor die Einsetzung des Untersuchungsausschusses als „historische Funktion“
der Grünen bezeichnet: Schily sei dort nicht zu ersetzen.“
Aus einer Regionalzeitung NRW vom
17.12.1984
„ Der neu gewählte Landesvorstandssprecher, Hartmut Regenstein, sah in den
leidenschaftlichen Debatten der Delegierten über Koalition oder Tolerierung „
nichts als eine Phantomdiskussion.“ Solange sich die Sozialdemokraten an Rhein
und Ruhr in Fragen der Wachstums-, Umwelt- und Energiepolitik „ so intolerant „
verhielten, komme die Tolerierung und Wahl eines Ministerpräsidenten Rau ebenso
wenig in Frage wie eine Koalition mit der SPD“.
Aus der Rheinischen Post vom
17.12.1984
„ Keine Entscheidung trafen sie auch in der Frage der Rotation. Hier
beschlossen sie, in einer
Urabstimmung unter den Mitgliedern zu ermitteln, ob künftige Landtagsabgeordnete
zur Hälfte der Legislaturperiode wechseln sollen oder erst nach Ablauf der
Amtsperiode.“
Aus der WAZ vom 17.12.1984
„Hartmut Regenstein, neu gewählter Landesvorstandssprecher, hatte unter dem Beifall
der
Delegierten seine Position zur Energiepolitik so beschrieben: „ Wenn der
Schnelle Brüter, der
Hochtemperaturreaktor in Hamm und das Zwischenlager in Ahaus in Betrieb gehen,
dann sagen wir der SPD „ Macht Eure Energiepolitik alleine.“
Aus der Tageszeitung vom 17.12.1984
„ Im Landesvorstand geben die Akademiker den Ton an. Zwei Lehrer, zwei
Stadtplaner, eine
Juristin und der Mitbesitzer einer Baufirma, der sich Unternehmer nennt, bilden
jetzt den Kreis. An der Spitze stehen als Sprecher Michael Happe,
ein 35jähriger Stadtplaner aus Essen und der 33 Jahre alte Dortmunder Oberstudienrat
Hartmut Regenstein. Das Alter der Vorstandsmitglieder liegt zwischen 30 und 40
Jahren.“
Aus Der Kölner Stadtanzeiger vom
17.12.1984
„Die Personalschwierigkeiten sind durch die Erfolge bei der Kommunalwahl noch
größer
geworden. Mindestens jeder zweite Parteitagsdelegierte, so wurde geschätzt,
habe ein
Kommunalmandat, was sich nachteilig auf die Arbeit für den Landesverband und
auf die
Wahlen zum Landesvorstand auswirke. Zu einem der Parteisprecher wurde der
Lehrer
Regenstein aus Dortmund gewählt.“
Aus die Frankfurter Allgemeine Zeitung
vom 16.12.1984
Quelle Nr. 3
Landesparteitag
der Grünen in NRW am 26. und 27. Januar 1985
Urabstimmung zur Frage der Rotation für die Wahl zum Landtag 1985
Pressestimmen
Kommentar
von Jakob Sonnenschein zum Landesparteitag der Grünen in NRW
„ Rotation ade“
„Das Signal war eindeutig. Knapp 75% der 4.180 Parteimitglieder, die sich an
der
Urabstimmung beteiligten, wollten nicht, dass die Abgeordneten während der
Legislaturperiode rotieren. Dieses Ergebnis wird bundesweit Folgen haben. Das
Ende der Rotation ist nicht mehr aufzuhalten.“
Aus die Tageszeitung vom 28.01.1985
Kommentar von
Hans Füllbrunn aus der Westfälischen Rundschau vom 28.01.1985
„ Grüne in NRW gegen die Rotation: Heilige Kuh geschlachtet.“ „ Die grünen
Realpolitiker im Lande haben sich durchsetzt. Allerdings machten ihnen die Fundamentalisten
in Essen noch einmal das Leben schwer. Sie wollten von der Urabstimmung, die sie
selbst durchgesetzt hatten, nichts mehr wissen: Sie wollten den
Urabstimmungskram vernichten.
Vorstandssprecher Hartmut Regenstein schlug nach diesem Gerangel vor, den
Aktionskünstler Beuys zu beauftragen, die Prozedur der Mitgliederbefragung zum
Kunstwerk zu erheben. Kabarettistische Züge hatte sie allemal.“
Quelle Nr. 4
„ Grüne
Beschlüsse zu „ Sexualität und Herrschaft“ in NRW
Landesparteitag der Grünen in Lüdenscheid vom 09. und 10. März 1985
Auszug aus der Tageszeitung vom 11.03. 1985
„ Willkommener Wahlkampfschlager für die SPD“
„ Als der Programmpunkt „ Sexualität und Herrschaft“ dann zur endgültigen
Abstimmung
vorlag, versuchte der grüne Landesvorstandssprecher Hartmut Regenstein mit
Blick auf die
Wahlen im Mai, die Delegierten noch zu bremsen. Die Vorlage sei dermaßen
umstritten, dass sie nicht beschlossen werden dürfe. Die Forderung nach einer
Urabstimmung machte wieder die Runde. Die Mehrheit der Delegierten hielt es
aber mit Marie-Luise Schmidt, ökosozialistische Landtagskandidatin der Grünen,
die an der Änderung des Programms mitgearbeitet und Positionen der Päderasten
zum Teil scharf kritisiert hatte.
„ Ohne die Verabschiedung des Programmteils, mit seinen Positionen, kommt die
Debatte über „ Sexualität und Herrschaft“ bei den Grünen nicht in Gang, betonte
die Bielefelderin und gewann so die Zustimmung der Mehrheit der Konferenz.
Quelle Nr. 5
Rücktrittserklärung
aus dem Landesvorstand vom 16.05.1985
Hartmut Regenstein
„ Liebe Kollegen, liebe Freunde,
ich trete heute, nach einem halben Jahr Arbeit im Landesvorstand, von meinem
Posten zurück. Im Dezember 1984 habe ich bereits anlässlich meiner Wahl darauf
hingewiesen, dass ich nur deshalb kandidiere, um den Landesvorstand in einer
schwierigen Zeit behilflich zu sein. Leider ließ sich mein Ziel nicht
verwirklichen, dass die Grünen in NRW den Landtag erreichen. Ich will offen
lassen, ob meine Tätigkeit im Landesvorstand für die Grünen in NRW eine
Unterstützung war. Nach meinem Rücktritt werde ich aber die Gelegenheit nutzen,
einige offene Worte über den vergangenen und zukünftigen Kurs der Grünen NRW zu
sagen.
Das
Wahlergebnis vom 12. Mai
Es gibt nichts daran zu deuteln, dass das Wahlergebnis vom 12. Mai
unbefriedigend ist.
…….
„ Sexualität
mit Kindern“
Der Beschluss zum Thema „ Sexualität mit Kindern“ hat die Grünen unter 5%
gebracht.
Dieser Beschluss war in der Sache falsch und muss nach den Diskussionsstrukturen
fragen, die einen solchen Beschluss erst möglich gemacht haben.
….
Da ist aber auch die Tendenz zu berücksichtigen, komplizierte gesellschaftliche
Probleme mit
rhetorischen Rundumschlägen zu erledigen. Ich würde es vielen Delegierten
durchaus zutrauen, die Abschaffung aller Gefängnisse zu fordern. Nur naive
Gemüter können davon ausgehen, dass damit das gesellschaftliche Problem der Kriminalität
gelöst ist. Nein, in Zukunft müssen wir mit einem höheren Maß an Verantwortlichkeit
unsere Beschlussvorlagen prüfen.
Die Situation
im Landesvorstand
Wie ist der Sachverhalt zu erklären, dass von 10 Plätzen nur 6 zu besetzen
waren?
Die Fähigkeit, innerparteilich Verantwortung zu übernehmen, ist bei den Grünen
in NRW nicht hoch entwickelt. Ich gehe davon aus, dass eine Vorstandstätigkeit
nicht mehr als Feierabend-Arbeit erledigt werden kann.
……..
Die Grünen müssen in Zukunft dafür sorgen, dass Teile des Landesvorstandes (die
Sprecher)
professionell arbeiten können.
Zukunftsperspektiven
Ich gehe heute davon aus, dass es ein Fehler der landespolitischen Erklärung
war, auf die
Option einer möglichen Regierungsbeteiligung zu verzichten. Den Grünen ist es
nicht gelungen, deutlich zu machen, was sie denn nun eigentlich wollen. Verantwortung
im parlamentarischen System beschränkt sich nicht nur auf Opposition. Die
Wähler der Grünen erwarten, dass sich die Grünen auch bei der Ablösung von
Regierungen beteiligen. Die Wähler wollen nicht nur wissen, welche Schlüsselforderungen
die Grünen aufstellen. Sie wollen auch wissen, mit welchen Personen und
Bündnissen diese durchgesetzt
werden können.“