Objektvorgang
Deckname Grün

Zusammengestellt von Hartmut Regenstein am 14.01.2011

 

Diese Begriffe stehen in einem Vermerk der Staatssicherheit (Stasi) der DDR über
meine Person. (s. Anlage 8). Die Partei der Grünen war Gegenstand eines solchen operativen Vorgangs. Die Stasi interessierte sich für alles, was die Grünen so dachten und taten.

 

Die Aufzeichnungen der Stasi über mich beginnen am 29.07.1981 und enden am 14.10.1986.
Die „ Genossen“, die meine Karteikarten führten, sind namentlich bekannt: Es handelt sich um Siegfried Heimann und Erich Gebhardt. Wer sich durch das Bürokraten-Deutsch meiner Stasi-Akte quälen will, hat es schwer. Es wimmelt von Aktenvorgängen, Karteikarten, Auskünften, Suchaufträgen, Ablagen….Deshalb lege ich die Stasi-Unterlagen als Anlage bei. Der geschätzte Leser muss selber entscheiden, ob er sich die Lektüre antun will.

 

Ich habe lange gezögert, meine Stasi Unterlagen offen zu legen. 1995 habe ich den ersten Antrag auf Akteneinsicht bei der Gauck-Behörde gestellt. Auch heute, 16 Jahre später, laufen noch weitere Recherchen, von denen nicht absehbar ist, ob sie erfolgreich sein werden.

 

Meine Geschichte ist schnell erzählt. Ich gehöre zu den Gründungsmitgliedern der Grünen (ab 1979) und habe auf Bundes- und Landesebene in NRW mitgearbeitet. Daneben war ich in den 80er Jahren in der Friedensbewegung der BRD aktiv. Ich war Mitglied im Friedensplenum von Dortmund und nahm von 1980-1983 an den Ostermärschen Ruhr teil.

 

Die DDR und ihre Satelliten Organisationen in der BRD (DKP, MSB Spartakus, SDAJ, DFG…) suchten in diesen Jahren Bündnispartner für ihren Kampf gegen die Stationierung von
Pershing II Raketen in der BRD. Dabei war Ihnen klar, dass die Grünen keine einfachen Bündnispartner waren.

 

So waren die Grünen immer gegen das atomare System der Abschreckung in Ost und West.
Wir waren gegen die Pershings II im Westen, wir waren aber auch gegen die SS 20 im Osten

 

Ein zweiter Punkt, der aus den Stasi-Unterlagen hervorgeht, war meine Mitarbeit in der
Evangelischen Jugendarbeit. Ich war Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft der Ev. Schülerarbeit (AES) und pflegte in den 70er und 80er Jahren einige Kontakte in die DDR.
Unsere Partnerorganisation in der DDR war die Konferenz Kirchlicher Jugendarbeit (KKJ) und
einige Jugendpfarrer in der DDR. Ich war öfters Gast bei den Kirchlichen Wochen in Hirschluch in der Mark Brandenburg. Dort diskutieren wir über die Themen Ökologie und Friedenspolitik. Ein Motto der kirchlichen Friedensbewegung war der Aufkleber „ Schwerter zu Pflugscharen“. Wir hatten freundschaftliche Beziehungen zu Christen in der DDR, die sich mit viel Zivilcourage in der Kirche und Gesellschaft engagierten. Besonders gute Kontakte hatte ich zu Christen in Rostock und Weimar.

 

Nun zu den Karteikarten.

 

Ich geriet am 17.04.1982 in das Visier der Stasi, als ich einen Antrag bei der ständigen
Vertretung der DDR in Bonn-Bad Godesberg auf Einreise in die DDR stellte, um an der
Beerdigung von Robert Havemann teilzunehmen. Havemann, Naturwissenschaftlicher und kritischer Sozialist wurde von den DDR-Organen als „ Staatsfeind“ angesehen, genauso wie sein Freund Wolf Biermann, den die DDR nach einer Konzertreise in die BRD ausbürgerte.

 

Die Karteikarten 1 und 2 dürften 1982 angelegt worden sein. Dort wird auf meine Aktivitäten in den kirchlichen Gruppen in der DDR und auf meine Tätigkeit im Landesvorstand der Grünen in Niedersachsen hingewiesen. Hier irrt die Stasi. Es muss richtig NRW heißen.

 

Im Dezember 1984 wurde ich zu einem der beiden Landessprecher der Grünen in NRW
gewählt. Nun geriet ich zwischen die Fronten der Grünen und der DDR. Aus einem Vermerk aus der Stasi Akte meiner Cousine E. geht hervor, dass die Stasi nicht wusste, wie sie mich einschätzen sollte. (s. Anlage 9).
Auf der einen Seite gab es Petra Kelly und andere, die Kontakte zu unabhängigen
Friedensgruppen in der DDR pflegten und auch schon mal auf dem Alexanderplatz für
Bürgerrechte demonstrierten. Auf der anderen Seite gab es Grüne, die solche Aktionen für kontraproduktiv hielten. Der Sprecher dieser Gruppe war der grüne Bundestagsabgeordnete Dirk Schneider, der die DDR per se für einen Friedensstaat hielt. Ich war keiner der beiden Gruppen zuzuordnen. Meine Kontakte zu kirchlichen Personen waren langfristig und vertrauensvoll. Die Stasi befürchtete bei mir auch Provokationen auf dem Territorium der DDR und erwog Anfang 1984 eine Einreisesperre für mich. (s. Anlage 9)

 

Am 28.12.1984 war es dann so weit. Bei einem geplanten Besuch nach Ostberlin wurde mir
die Einreise ohne Angabe von Gründen verweigert. Proteste waren sinnlos.

 

Ich hatte für die Jahre 1985 und 1986 eine Einreisesperre in die DDR. Im Oktober 1986 gelang es mir aber, diese rückgängig zu machen. Das Mitglied der Grünen im Bundestag, Frau Dr. Antje Vollmer, wurde bei der Ständigen Vertretung der DDR in Bonn-Bad Godesberg vorstellig und setzte sich für mich ein. Dieser Vorgang findet sich auch in den Unterlagen der Stasi (s. Karteikarte 6).

 

Ich wurde 1987 von unserer kirchlichen Partnerorganisation zu einer Konferenz in Hirschluch
eingeladen. Und siehe da, eine Einreise war wieder möglich. 1988 besuchte ich aus privaten Anlässen Freunde und Bekannte in Rostock und in Ostberlin.

 

Vom 07.-09. Juni 1989 nahm ich an dem Ev. Kirchentag in Westberlin teil. Den 07. Juni 1989 verbrachten wir auf Einladung der Freien Deutschen Jugend (FDJ) einen Tag in der DDR.
Nach einer Führung durch die Gedenkstätte Sachsenhausen gab es eine Diskussion über das
Thema „ Antifaschismus heute“. Es war eine kontroverse und emotionale Diskussion. Innerhalb der FDJ-Delegation zeigten sich tiefe Meinungsverschiedenheiten. Die DDR war auf dem Weg zu implodieren. Es sollte nur noch einige Monate dauern, bis im November 1989 die Mauer fiel.

 

Anlagen

 

Karteikarte 1

VSH - Karteikarte d. HA XVIII

DOKNR/PL: HVA/II/6 KK

 

Regenstein
Hartmut
04.02.51
D 4600 Dortmund, Langerohstr. 5
Bochum
D5223 Nümbrecht, Grunewald 23

(Erläuterung des Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit…..: HVA= Hauptverwaltung Aufklärung, Zentrale Materialablagerung.)

----------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Karteikarte 2

VSH- Karteikarte d. HAXX

 

Regenstein
Hartmut
4.2.51 in Grunewald
4600 Dortmund 13
Langerohstr. 5
Erlernter Beruf: Lehrer
Arbeitsstelle: Mitglied des Landesvorstand Niedersachsen Die Grünen

 

Rückseite:
Unterhält umfangreiche Verbindungen in die DDR, u.a. nach Halle, Cottbus, Rostock und
arbeitet aktiv mit der evangelischen Kirche in der DDR zusammen.
Beantragte 1982 beim MfAA die Einreise zur Teilnahme an der Beerdigung von R. Havemann
Nov. 1983, Einreise zur XXXXX, Rostock, Leninallee 29 (unkenntlich gemacht von H. Regenstein)

 

Karteikarte 4

Karteikarte der Abteilung X

 

Regenstein, Hartmut
Kuba
4.2.1951 in Grunewald19.5.82 Ri
Quintero de Armas, Roberto Ciro

 

Karteikarte 5

Aus: BSTR-Abt. 97/ZMA d. HA XX
Streng geheim
Operative Auskunft der Abt. XII E 544963
Zum Suchauftrag eing: 02.06.82 von
MFS
MA: Fach Tel: 23254
----F 10----


Regenstein
Hartmut
04.02.51
Grunewald BRD
Erfasst: FLER: MFS/ABT XII nicht erfasst
1. MFS/BV
HA/ABT/KD: HVA/II/6/603 2. Juni 1982
Archivsign.: Nicht gesperrte Klassifizierte Ablage
2. MFS/BV/V:
HA/ABT/KD
Archivsign.: nicht gesperrte klassifizierte Ablage
Erläuterung des Bundesbeauftragten…: Hier handelt es sich um einen Suchauftrag.
Ich kann mir die Karteikarten 4 und 5 nicht erklären.(Hartmut Regenstein)

 

Karteikarte 6

 

Regenstein
Hartmut
4670 Lünen, Graf-Haeseler Str. 3


Brief an Antje Vollmer (MdB Die Grünen) vom 31.10.86, die sich an die STÄV der DDR wandte, um ER (Einreise) in die DDR für den R. nachsuchte!

 

Anlage 7

 

Regenstein     XX 4042/81
Hartmut        HVA-II/6-603
04.02. 1951
BRD            Heimann (Unterschrift)
Grüne Partei     Karte angelegt am 17.08/81 (unleserlich)

 

Anlage 8

 

Objektvorgang            XV 40/42/81
Deckname: Grün
Angelegt am 29.07. 1981  HVA
II/6/603                  Mitarbeiter: Heimann, Siegfried
…….. (unleserlich) Zurr, 26000 Art der Veränderung 14.10.1986
25.03.86 an HVA/II/6/609 Gebhardt, Erich
DVO 29.07.81
Das könnte bedeuten: Aufhebung der Einreisesperre.(Hartmut Regenstein)
Erläuterung des Bundesbeauftragten zu den Anlagen 7 und 8, insbesondere zu dem
Begriff
Objektvorgang

 

Sehr geehrter Herr Regenstein,


aufgrund Ihres Wiederholungsauftrages auf Akteneinsicht wurden unter Berücksichtigung Ihrer Hinweise erneut Recherchen in der Zentralstelle Berlin und in den Außenstellen Rostock, Erfurt und Berlin durchgeführt.

 

Die Recherchen haben zu Ihnen eine Registrierung in der Personenkartei F 16/HVA (so
genannte Rosenholz-Dateien mit der Registriernummer MfS XV/4042/81 ergeben. Die
Vorgangskartei F 22/HVA verweist unter unter dieser Registriernummer auf einen OVO
Vorgang. Die HVA war vorrangig für Auslandsaufklärung und Gegenspionage sowie für „ aktive Maßnahmen“ in nicht sozialistischen Staaten und Territorien, insbesondere in den Nato-Staaten zuständig. Objektvorgänge (OVO) waren für „ operativ zu bearbeitende Objekte im Operationsgebiet“ (z.B. staatliche Institutionen oder Wirtschaftsverbände) anzulegen und zu führen. In einem solchen Vorgang waren diejenigen Personen zu erfassen, die in diesem Objekt tätig waren bzw. in direkter Verbindung zu ihm standen.“ (aus dem Brief des Bundesbeauftragten vom 31.01. 2008) Ich gehe davon aus, dass die Partei der Grünen Gegenstand eines operativen Vorgangs war.

 

Anlage 9

 

Vermerk der Stasi vom 04.01.1984 über einen Besuch bei einer Verwandten in Berlin aus der Stasiakte der Cousine E.

Abgeschrieben am 18.10.2009 von Hartmut Regenstein

HAXVIII/4/2            Berlin, den 04.01.1984


Vermerk

Über ein Gespräch mit Genossen Gebhardt. HVAII/6 (Tel: 27232, Z. 800)
Und dessen Ref.Ltr. zum Problem Verbindung E. Berlin zu ihrem Cousin Regenstein, Hartmut
, BRD…………………… geschwärzt………
……………………………………………
…………………………………………..
Geschwärzt

 

Den Genossen der HVA II/& wurde mitgeteilt, dass R. die Absicht hat, am 28. oder
29.01.1984 über Westberlin kommend die E (Cousine) zu besuchen, um Weihnachtsgeschenke abzugeben.

 

Eine Beobachtung und damit Gestatten der Einreise ist nur mit Erlaubnis des Büros des
Genossen Neiber möglich, und müsste von der Lt. Der HAXVIII begründet und beantragt
werden. Jedoch würde dann bei möglichen Provokationen auf dem Territorium der DDR die volle Verantwortung bei der HVAXVIII liegen. Außerdem wird eingeschätzt, dass gegenwärtig eine solche Erlaubnis nicht erteilt wird, weil die „ Grünen“ versuchen, unsere Methoden zu ergründen und durch Proteste im Bundestag gegen unsere Maßnahmen vorgehen wollen.

 

Festlegungen und Maßnahmen


Es wurde vereinbart, dass keine spezifischen Maßnahmen ergriffen werden. Die HAVIII/4 wird entsprechende Reaktionen durch R. durch M Kontrollen registrieren und diese der HVAII/6 mitteilen. Die HAXII wird die Inspektion der Abt. prüfen, ob die E. während der Zeit vom 26.- 28.11.83 in Berlin war, bzw. Urlaub oder Hausarbeitstag hatte.


Menzel
(Mayor)